Bedeutung von Gebärdensprache für Präventionsarbeit in Bezug auf sexuelle Bildung

Auf der Welt gibt es nicht die eine universelle Gebärdensprache. Die Gebärdensprache ist national und zum Teil regional verschieden. Die deutsche Gebärdensprache (DGS) ist rechtlich als eine eigenständige, vollwertige und natürliche Sprache anerkannt. Die DGS wurde in Deutschland erst 2001 durch die Aufnahme ins Sozialgesetzbuch (SGB IX) und 2002 durch das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) als eigenständige Sprache anerkannt.

Es wird kritisiert, dass dies mit einer umfassenden gesellschaftlichen Anerkennung gehörloser Menschen, ihres Sozialverbandes und ihrer Sprache nicht gleichzusetzen ist (Heßmann, Hansen und Eichmann 2012, Seite 3, Gehörlosenbund).

Die Gebärdensprache weist alle Merkmale für Sprache auf. Zudem zeigen Ergebnisse der Hirnforschung, dass die Gebärdensprache in den gleichen Hirnbereichen verarbeitet wird, wie die Lautsprache. Die Gebärdensprache unterscheidet sich mit ihrer Grammatik und mit der benutzten Modalität von der Lautsprache. Die Gebärdensprachnutzenden modellieren und sprechen ihre Signale und Worte mit den Händen, der Mimik und dem Oberkörper. Die Gebärdensprache ist komplett visuell zu erfassen. Von Geburt an ist es tauben Kindern in der Regel möglich, diese Sprache zu erfassen. Viele taube Menschen bezeichnen die Gebärdensprache als ihre Muttersprache. Die Bezeichnung ist oft unabhängig davon, ob sie diese von Geburt an lernen oder sie erst später erworben haben. Unter tauben Menschen ist durch Gebärdensprache eine Gemeinschaft möglich, in der barrierefrei kommuniziert wird. Die Sprache ist ein wesentliches Identifikationsmerkmal. Diese Gehörlosengemeinschaft wird als sprachliche Minderheit angesehen und wird teilweise immer noch nicht als ‚richtige‘ Sprache gesehen.

Abzugrenzen sind andere Kommunikationsformen, bei denen auch Gebärden verwendet werden. Keine eigenständige Sprache sind das Lautsprachbegleitende Gebärden (LBG) und das Lautsprachunterstützende Gebärden (LUB). Es handelt sich um eine Visualisierung der gesprochenen Sprache. Bei dieser Form wird lediglich die deutsche Lautsprache mit Gebärden unterlegt. Die Kenntnisse der Grammatik der deutschen Lautsprache ist für die Sprechenden der Gebärdensprache dennoch wichtig, da sie die Teilhabe an der Mehrheitsgesellschaft ermöglicht.

In Schulen wurde die Gebärdensprache lange Zeit im Unterricht nicht akzeptiert. Erst 1993 begann in Hamburg ein bilingualer-bimodaler Schulversuch.  Bedauerlicherweise ist es heutzutage immer noch schwer Chancengleichheit in Bezug auf Bildung zu erreichen.

Bis heute ist es in vielen Schulen nicht gegeben, das taube und schwerhörige Kinder mit Gebärdensprache lernen können.

Seit 2015 bekomme ich Einblicke in die Gehörlosenkultur und lerne DGS. Zuvor hatte ich die Vorstellung, dass taube Menschen deutsch lesen können und das ich jederzeit eine Kommunikation mit Schriftsprache ersetzen kann. Das ist im Alltag nicht der Fall. Durch die unfaire Bildungsvorraussetzungen ist die deutsche Schriftsprache nicht jeder Person bekannt und deutsche Schriftsprache wird vor allem über das Gehör erlernt. Für eine Verständigung ist in vielen Fällen ein Kontakt per Videoanruf oder ein Treffen von Angesicht zu Angesicht notwendig.

Ich sehe hier eine Barriere für die Präventionsarbeit. Die Herausforderungen besteht darin, dass nicht jede taube Person (nach einem Risikokontakt) allein und selbstständig zur STI Beratung gehen kann. Für Gespräche zur Informationsvermittlung ist eine dolmetschende Person notwendig. Gleichzeitig sind auch schriftliche online Beratung kein Ersatz.

Meiner Einschätzung nach benötigen wir für eine gelingende präventive Arbeit:

  • Websites in leichter Sprache
  • Flyer in leichter Sprache (Inhalt: STI und Beratungsangebote)
  • Video-Onlineberatung in DGS mit einem Filter für Gesicht und Hände zur Anonymisierung, welche das Mundbild zulässt und gleichzeitig muss Gebärdensprache über ein klares Bild vom Oberkörper verstanden werden

Was gibt es bereits?

„Taube_Sexperts“ – das ist der Name einer Initiative zur ehrenamtlichen Arbeit im Bereich „Sexuelle Bildung für gehörlose Menschen “. Die Arbeitsgruppe besteht aus sechs tauben Männern und mir. Im April 2022 trafen wir uns das erste Mal in Hamburg. Jetzt gibt es einen Instagram Account, um unsere Arbeit bekannt zu machen. Regelmäßig werden über den Kanal Informationen zur sexuellen Bildung in Gebärdensprache veröffentlicht. Wir sehen einen starken Bedarf an barrierefreier Informationsweitergabe. Die extra aufgenommenen Videos in Gebärdensprache sind dafür essenziell. Die Notwenigkeit ergibt sich aus dem Bedarf an Teilhabe für Menschen, die mit Gebärdensprache kommunizieren oder keine Lautsprache wahrnehmen können.

Katharina Anett Köhler

Erklärung:

Taub anstelle von gehörlos oder hörgeschädigt

  • taub weniger defizitorientiert
  • taub = positive Selbstbezeichnung
  • unabhängig von taub, resthörig, schwerhörig, CI- Tragende
  • entscheidend ist nicht der Hörstatus sondern die Verwendung von der Gebärdensprache, kulturelle Zugehörigkeit zur Gemeinschaft, persönliche Identifikation

Weiterführende Literatur:

Sexualität leben ohne Behinderung (Jens Clausen und Frank Herrath (Hrsg.) Kohlhammer, 2012)

Behinderung und Sexualität (Barbara Ortland, Kohlhammer, 2020)

Sexuelle Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung (Barbara Ortland, Kohlhammer, 2016)

Einführung in die Sexualpädagogik und sexuelle Bildung (Heinz- Jürgen Voß, Kohlhammer, 2023)

Einführung in die Hörgeschädigten Pädagogik (Annette Leonhardt, Reinhardt UTB, 2010)

Gehörlos- nur eine Ohrensache?( Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Evangelische Gehörlosenseelsorge e.V. (Hg.), Signum, 2001)

Inklusion und Hörschädigung (Manfred Hintermair (Hrsg.), Median Verlag, 2012)

Das Zeichen, Zeitschrift für Sprache und Kultur Gehörloser

Gehörlosenbund  (Heßmann, Hansen und Eichmann, 2012)

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