“Französisch pur” oder “Französisch ohne” (FO) meint als Angebot einer Sexarbeiterin/eines Sexarbeiters an den Kunden, dass beim Oralverkehr das Kondom weggelassen wird, aber der Samenerguss nicht im Mund stattfinden soll. “Französisch total” ist hingegen das Angebot, Oralverkehr einschließlich des Samenergusses ohne Kondom durchzuführen (“Abspritzen im Mund”).
Es handelt sich also um eine sehr intime Dienstleistung, die bei genauer Betrachtung Möglichkeiten und Grenzen käuflicher Liebe aufzeigt. Das soll im Folgenden für beide beteiligte Seiten aufgezeigt werden:
1. Freier
Es ist zu verstehen, dass das Weglassen des Kondoms beim Oralverkehr gewünscht wird. Die Berührungsintensität ist größer und die Intimität deutlich gesteigert. Zudem stellt die Aufnahme des Spermas durch den Mund oft eine besondere Bestätigung für den Mann dar: Er empfindet sich so, wie er ist, als gewollt.
Doch genau hier liegt auch die Illusion. Denn ist ein Mann wirklich gewollt, wenn er die Dienste einer Sexarbeiterin in Anspruch nimmt? Es handelt sich um eine Dienstleistung, die gegen Geld ausgeführt wird. Da mag es auch mal Sympathien zwischen dem Freier und der Sexarbeiterin geben, aber sie meint ihn nicht wirklich, wenn sie ihm Oralverkehr ohne Kondom anbietet. Es ist einfach ein Geschäftsmodell.
Der Begriff der “Sexarbeiterin” sagt das sehr anschaulich und ist demzufolge auch passend, wenn die Seite der Anbieterin/des Anbieters angeschaut wird. Von der Seite des Freier aus gesehen, passt der Begriff der/des “Prostituierten” wiederum gut. Nicht in dem Sinn, wie er in vielen Wörterbüchern tendenziell gebraucht wird (“bloßstellen”, “entehren”), sondern im wörtlichen Sinne als “für etwas stehen”. Darin klingt die Illusion bereits an. Es wird eine intime Begegnung gewünscht, die die eigene Persönlichkeit einschließt. Aber gegen Bezahlung lässt sich das eben höchstens annährungsweise verwirklichen. Nie so, wie es in der Tiefe gewünscht ist.
Problematisch ist diese Praktik aber auch bezogen auf sexuell übertragbare Infektionen wie Chlamydien, Tripper und Syphilis. Diese lassen sich bei FO und FT auch vom Aktiven auf den Passiven übertragen. Nach unseren Erfahrungen wird das zumeist so lange nicht als problematisch angesehen, bis es passiert. Dann aber ist der Ärger oft groß und manchmal folgen wütende Beschuldigungen (auch in Freierforen). Dabei wäre gerade hier ein eigenverantwortlicher Umgang mit den eigenen Wünschen und Sehnsüchten gefragt.
2. Die Sexarbeiterin/Der Sexarbeiter
Verlockend ist ein Geschäftsmodell, wenn es mehr Geld und Einnahmen verspricht. Manche mögen sich dabei dem Marktdruck beugen und etwas anbieten, was sie eigentlich nicht wollen. Manchen ist das Blasen ohne Kondom angenehmer. Auf jeden Fall scheint es oft als Bestandteil einer guten Dienstleistung aufgefasst zu werden, wenn dem Kunden vermittelt wird, er sei der Einzige. Doch diese Meinung birgt Gefahren.
Frauen und Männer gehen manchmal bewußt das Risiko ein, sich beim Oralverkehr mit einer sexuell übertragbaren Krankheit zu infizieren oder sie gegebenenfalls auch weiterzugeben. Häufig aber wird diese Gefahr nicht gewusst oder verdrängt. Das gefährdet das wichtigste “Kapital” das Prostituierte haben, den eigenen Körper. Außerdem kann ein Kondom eine Distanz schaffen, die im Sexgeschäft notwendig ist und Sicherheit gibt. Es ist eben nicht der private, intime Sex, der ausgeführt wird, sondern eine Dienstleistung, die einzig zum Geldverdienen erbracht wird.
Dr. Matthias Stiehler