Vater sein

Eine Erkundungsreise.

Was heißt es Vater zu sein? Diese Frage scheint erstmal einfache Antworten zu liefern. Mit dem Kind auf den Spielplatz gehen. Es trösten, wenn es hingefallen ist. Ihm helfen, die Welt zu entdecken. Im Sportverein das Kind anfeuern und als Trainer aushelfen. Und zum Vatersein scheint auch zu gehören, dass man das Geld für die Familie verdient. Schauen wir also kurz auf die Zahlen, bevor der Text versucht, sich anhand persönlicher und beruflicher Erfahrungen der Eingangsfrage zu nähern.

Laut Väterreport der Bundesregierung arbeiteten Väter 2022 im Schnitt 40,4 Wochenstunden, wohingegen Mütter 27,8h Stunden pro Woche tätig sind. Also in bezahlter Erwerbsarbeit.

Zugleich wollen sich immer mehr Väter Zeit für Familie und Haushalt nehmen. Auch die Studie „You don’t need to be Superheroes“ der TU Braunschweig kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Auf die Frage, was einen guten Vater ausmacht, antworten die Teilnehmer: Dem Kind Zuneigung zeigen (59,5%), Zeit mit dem Kind verbringen (27%), dem Kind etwas beibringen (12,1%) und dem Kind (finanzielle) Sicherheit bieten (1,4%). Auch hier waren jedoch  über 80% der Teilnehmer Vollzeit erwerbstätig.

Woran könnte es liegen, dass Wunsch und Wirklichkeit nicht zusammen passen?

Eine Antwort könnte sein, dass Vorbilder fehlen. Im Geburtsvorbereitungskurs sagte ein Vater zum Thema Elternzeit: „Meine Kollegen sagen, am Anfang müsse ich keine Elternzeit nehmen. Mit dem Kind kann ich als Vater eh erst etwas anfangen, wenn es laufen kann.“ Aber was ist nach einem Jahr, in dem man wenig Zeit mit dem Kind verbracht hat?  Der Mann ist im Beruf weiter vorangekommen, während seine Partnerin zur Expertin für das gemeinsame Kind und den zu organisierenden Haushalt geworden ist. Gleichzeitig hat sie sich vermutlich ein Netzwerk rund um ihr Kind aufgebaut. Es tauchen mehr und mehr Papas in Familienzentren auf und auch in manchem Pekip Kurs sind vereinzelt Väter zu finden. Und ja, es ist verständlich, dass gerade bei Themen wie Stillschwierigkeiten und Rückbildung sich die meisten Männer unwohl fühlen. Es bedarf auch Räume, in denen Mütter sich in einem safe space zusammen finden können. Aber es braucht auch Räume, in denen sich Väter untereinander austauschen.

Zugleich fällt es Männern leichter, ihre Vaterrolle abzulegen. Wenn eine Frau sichtbar schwanger ist, wird sie von außen sehr schnell (nur noch) als Mutter gesehen. Es lässt sich fast gar nicht vermeiden. Ein Mann dessen Partnerin im 9. Monat schwanger ist, wird nur von außen als Vater gesehen, wenn er mit seiner Partnerin zusammen ist. Wenn er mit den Freunden unterwegs ist, auf Arbeit,  in einem Meeting ist oder in der Mittagspause mit den Kolleg*innen plaudert, kann es sein, dass seine Vaterschaft nicht einmal thematisiert wird. Vielleicht kommt mal die Frage, ob er Elternzeit nimmt und wenn ja, wie lange. Aber bitte nicht zu lange. Wer soll denn dann die ganze Arbeit machen und wie wollen sie das eigentlich finanzieren? Wenn wiederum seine Partnerin auf Arbeit verkündet, dass sie schwanger ist, wird automatisch davon ausgegangen, dass sie nach der Geburt mindestens 12 Monate zu Hause ist (und ihr Partner das Einkommen erwirtschaftet). Hier müssen sich Mütter rechtfertigen, wenn sie eher wieder arbeiten. Meine Partnerin wurde nach ihrem Arbeitsbeginn 10 Monate nach der Geburt gefragt, wer denn jetzt auf das Kind aufpasse. Das es einen Vater gibt, der ebenso Kompetenzen in der Kindererziehung haben könnte, wird gar nicht in Erwägung gezogen. Ihre Kolleginnen kannten es nicht anders. Es fehlte an Vorbildern. Darum kann ihnen persönlich kein Vorwurf gemacht werden. Kennst du einen Vater, dem schon mal die gleiche Frage gestellt wurde?

Andreas Eickhorst ist Väterforscher und betont in seinen Vorträgen, dass Väter und Mütter generell die gleichen Fähigkeiten und intuitive Elternkompetenzen haben. Einen Unterschied mache die kulturelle Praxis. Schon einmal vom Vaterinstinkt gehört? Einen Instinkt schreiben wir eher den Müttern zu. Könnte das vielleicht daran liegen, dass Mütter viel mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen und somit einen eigenen Umgang mit ihren Kindern entwickeln konnten? Und zugleich erfolgen Zuschreibungen von außen, deren Überwindung immer wieder Energie erfordert. Es ist viel leichter nicht aufzufallen. Auch hier erinnere ich mich an eine Anekdote meiner Elternzeit. Mein Sohn weinte auf meinem Arm und ich vermutete stark, es sei eine Mischung aus Müdigkeit und sich anbahnendem Hunger. Plötzlich kam eine fremde Frau auf mich zu, die ihn mir abnehmen wollte, mit einem unterschwelligen „Ihr Männer könnt das einfach nicht.“ Ähnliches können weitere Väter im Papa Café berichten. Natürlich machen Papas nicht alles perfekt. Kleiner Geheimtip: Müttern ergeht es nicht anders und auch sie erfahren häufig Einmischungen von außen.

Was macht Vater Sein also aus? Ein andauerndes Ausprobieren. Und das erfordert Zeit. Zeit mit dem Kind/den Kindern allein und Zeit als Familie. Und es braucht den Austausch mit anderen Vätern und Müttern, über Erziehungsfragen. Manchmal ist es ganz pragmatisch: Im Frühjahr daran denken, neue Schuhe zu kaufen. Oder wenn das Kind „Papa“ ruft neugierig zu sein, was es gerade braucht. Manchmal sich mit anderen Eltern in der Kita für den nachmittag verabreden und sich an den Kindern freuen und auch mal jammern, wie anstrengend das Elternsein gerade ist. Und manchmal kann es auch bedeuten, sich mit schmerzlichen Themen auseinander zu setzen.

Zum Beispiel mit der Frage, wie habe ich meinen eigenen Vater erlebt? War er anwesend oder nicht? War er zwar zu Hause, aber in Gedanken bei der Arbeit oder einem „wichtigen“ Projekt? Dies soll kein Vorwurf an die Vergangenheit sein. Unsere Väter haben es häufig selber nicht anders erlebt. Und doch dürfen diese Gefühle über verlorene Zeit oder Aufmerksamkeit ihren Platz haben und thematisiert werden. Zwei Fragen möchte ich in den Raum stellen. Was hat mein Vater für mich getan? Und was hätte ich noch gebraucht oder mir gewünscht? Diese Fragen können den Weg ebnen zu der Frage, welcher Vater möchte ich sein. Wichtig hierfür ist ein Rahmen, in dem du dich wohl fühlst, denn häufig haben wir seelische oder auch körperliche Verletzungen in der Vergangenheit erfahren, deren Aufdecken ein Auffangen benötigt. Dies können Freund*innen sein, aber auch Beratungsstellen oder Therapeut*innen. Eine Aufdeckung dieser Verletzungen kann dazu führen, dass diese nicht unbemerkt weitergegeben werden.

Nicht zuletzt heißt Vaterschaft aber auch die Pflege von Partner*innenschaft und Selbstachtsamkeit. Was verursacht den Stress, den ich gerade erlebe? Sind es meine Partnerin und mein Kind oder kommt der Stress doch von anderer Stelle, zum Beispiel von Unsicherheiten im Arbeitsleben, der fünften abgelehnten Bewerbung oder dem sogenannten Freizeitdruck? Oder bin ich einfach müde und hungrig? Woher sollen Kinder einen gesunden Umgang mit sich selbst, ihren Grenzen aber auch ihren Beziehungen lernen? Zuallererst von den Eltern. Achten wir auf unsere Bedürfnisse und kommunizieren diese angemessen miteinander? Ein „Jetzt seid doch mal leise und verschwindet!“ klingt einfach anders als ein „Mir geht es gerade nicht so gut/Ich bin echt müde und würde mich freuen, wenn ich mich für eine halbe Stunde zurückziehen darf.“ Gerade uns Männern fällt es schwer unsere Gefühle wahrzunehmen. Sagt unter anderem Björn Süfke in einem Podcastinterview sinngemäß (ich hörte es im Urlaub ): Wenn ein Mann auf die Frage „Wie geht es dir?“ keine Antwort gibt, dann weiß er es wahrscheinlich selber nicht. Die Reise in die männliche Gefühlswelt ist aber nochmal eine eigenständige Erkundungsreise.

Und wenn ihr Papas (und Mamas) denkt, jetzt habe ich den Dreh raus, jetzt weiß ich, wie ich mir Vaterschaft und Mutterschaft vorstelle und gerade läuft es richtig super. Seid darauf vorbereitet, dass sich bald etwas ändert. Die Kinder wollen mehr Autonomie, von heute auf morgen kommen neue Gefühle dazu oder der Hormonhaushalt stellt sich plötzlich um, die Freund*innen werden wichtiger als ihr (scheinbar). Oder mein eigener Körper streikt.

Bleibt flexibel. Elternschaft ist wie eine Reise auf einem neuen Kontinent. Ihr bringt eigene Reiseerfahrungen aus eurer Kindheit mit. Manchmal helfen sie euch in dem neuen Gelände, manchmal auch nicht. Und eure Partner*innen haben vermutlich andere und zugleich genauso wertvolle oder schmerzhafte Reiseerfahrungen gesammelt.

Und dann ist unklar, was euch auf der Reise eigentlich erwartet. Hinter der nächsten Düne wartet ein Sumpf, der mühsam zu durchqueren ist. Vielleicht aber auch ein schneebedeckter Berg. Und manchmal auch ein wundervoller Strand, an dem ihr kurz relaxen dürft und neue Kräfte sammelt für weitere unbekannte Abenteuer. Nehmt euch die Zeit, gemeinsam diese Herausforderungen anzugehen und schaut, wer welche Fähigkeiten und Fertigkeiten in eurer Reisegruppe Familie hat. Manchmal müsst ihr jemandem unter die Arme greifen, dann laufen die Kinder wieder ein Stück alleine. Nach anstrengenden Tagen plant euch gern einen Puffer ein, an dem ihr regenerieren könnt. Und plant Tage ein, vor allem, wenn neues Terrain wartet, an denen ihr eure Reiseplanung überprüft. Kommen wir weiter oder brauchen wir neue Ausrüstung? Sollen wir uns für die nächste Etappe vielleicht jemanden mit ins Boot holen? Wollen wir einen Reiseführer aus der Bibo oder doch einen erfahrenen Menschen, der*die uns beratend zur Seite steht?

Gerade uns Vätern fehlen häufig die Vorbilder auf der Reise. Viele Väter haben sich unabhängig einen Weg durch die Tiefen und Untiefen der Arbeitswelt gebahnt und sind nur kleinere Etappen mitgelaufen. Manche Väter sind neben der Familie her getrottet, in Sichtweite und doch nicht erreichbar. Hier brauchen wir ein wenig Pioniergeist, um neue Wege zu gehen, wir als Väter, aber auch unsere Partner*innen. Neue Ufer warten auf uns, lasst sie uns entdecken.

Eine wundervolle Reise wünscht

Tobias von Papada im Männernetzwerk Dresden

Literatur:

Väterreport der Bundesregierung, BMFSFJ (Hg.) (2023) Väterreport. Entwicklungen und Daten zur Vielfalt der Väter in Deutschland. Online verfügbar unter https://www.bmfsfj.de/resource/blob/230374/1167ddb2a80375a9ae2a2c9c4bba92c9/vaeterreport-2023-data.pdf

VAPRO – You don’t need to be Superheroes: Einblicke in die vielfältigen Lebenslagen von Vätern ; Abschlussbericht, 2023. . Technische Universität Braunschweig, Braunschweig. https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202212130928-0

Björn Süfke, „Männer – was es heute heißt ein Mann zu sein“, Mosaik Verlag, München 2016 und „Männerseelen: Ein psychologischer Reiseführer“, Patmos Verlag, Düsseldorf, 2008

Broschüre Vater werden, Männernetzwerk Dresden e.V., 2023, verfügbar unter: https://www.mnw-dd.de/files/maennernetzwerk/Papada/Broschuere-Vater-werden/22-04-06-Vater%20werden%20ein%20Kurzleitfaden_1.Auflage.pdf (24.01.24)

Dokumentation Fachtag „Väter 4.0 – vom Traditionsmodell zum Traumtyp?“, Väter in Köln e.V. und Männer-Väter-Forum Köln, 2019, online verfügbar unter:

https://koelnervaeter.de/wp-content/uploads/Zerle-Els%C3%A4sser-V%C3%A4ter-in-K%C3%B6ln-Vereinbarkeitsdilemma-09-10-2019-oM.pdf (24.01.24)

https://koelnervaeter.de/wp-content/uploads/Eickhorst_Vortrag_K%C3%B6ln-.pdf (24.01.24)

„Väter auf dem roten Teppich“ https://pinkstinks.de/vaeter-auf-dem-roten-teppich/ (24.01.24)

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