Probleme mit dem Orgasmus?
Zu früh
Viele Männer haben das Gefühl „zu früh” zu kommen. Bei heterosexuellem Sex bedeutet das, dass der Mann zum Orgasmus kommt, bevor die Partnerin ihren Höhepunkt hatte. Daher wünschen sich Männer oft beim penetrativen Sex „länger durchzuhalten” – bis die Partnerin kommt. Ansonsten muss der Sex gewöhnlich sehr bald abgebrochen werden, denn der nicht mehr erigierte Penis wird nach dem männlichen Orgasmus aus der Vagina rutschen.
Auch bei homosexuellen Männern kann das Gefühl, den Orgasmus zu früh zu erleben, zu psychischen Problemen führen: Kommt er beim Analsex vor seinem Partner, muss auch dieser Sex eventuell früher unterbrochen werden, als man möchte.
Nun könnte man sagen: Macht doch nichts, wenn einer vor dem anderen kommt. Schließlich gibt es noch andere Möglichkeiten, den Partner oder die Partnerin zu befriedigen, beispielsweise mit der Hand oder mit dem Mund. Das stimmt natürlich, und ist ein Paar vertraut miteinander, ist es oft möglich, dass sich mit der Zeit ein “Erst-du-dann-ich-oder-umgekehrt” einspielt.
Allerdings haben fast alle Männer nach ihrem Orgasmus Schwierigkeiten, weiterhin sexuell genügend erregt zu bleiben, um mit Lust und dem Herzen weitermachen zu können. Der Penis wird nicht nur schnell wieder weich, im Vergleich zu vorher ist er auch fühlloser, zuweilen auch überempfindlich. Sofort nach dem ersten Orgasmus einen zweiten zu haben, ist meist nicht möglich. Diese Zeit wird deshalb auch Refraktärzeit genannt. Das kommt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie halsstarrig. Da geht im Allgemeinen mindestens für einige Stunden nichts mehr…
Manche Männer berichten zudem von einer Art Widerwillen, wenn jemand sie weiter stimuliere oder wenn sie jemand anderen weiter erregen sollen. Das ist durchaus normal und kein Anzeichen von Egoismus.
Zu spät
Aus der erwartungsvollen Vorfreude, bald einen Orgasmus zu erleben, kann aber auch mühsame Arbeit werden. Dann nämlich, wenn ein Mann sich beispielsweise während des Sex zu lange zurückgehalten hat oder wenn er aufgeregt, angespannt oder nicht wirklich offen für eine sexuelle Begegnung ist.
Versucht der Mann dann trotzdem unbedingt einen Orgasmus zu haben, kann sich daraus ein seltsamer Wettlauf mit der Zeit ergeben: Während die Erregung mehr und mehr verschwindet, sollen beispielsweise hektische Bewegungen und Stimulationen das verhindern. Meist geht dabei der Kontakt zum Partner oder zur Partnerin verloren – auch wenn er oder sie sich alle erdenkliche Mühe gibt. Der Mann ist bloß noch mit seinem drohenden „Nichtfunktionieren“ befasst, und je mehr er dagegen ankämpft, umso aussichtsloser wird es oft.
Gelingt es trotzdem, irgendwie einen Orgasmus zu erzwingen, bringt er meist nur eine gewisse körperliche Entlastung, die jedoch nicht befriedigend ist.
Gar nicht
Gar nicht kommen passiert ebenfalls häufiger als man vielleicht denkt. Aber das muss nicht der schlechteste Ausgang einer sexuellen Begegnung sein – vorausgesetzt, man akzeptiert die Tatsache, nicht wirklich in Stimmung gewesen, gedanklich woanders, sehr aufgeregt zu sein oder sich mit der Erregungskontrolle verpeilt zu haben. Im guten Fall kann der Mann trotzdem die Nähe des oder der Anderen genießen und sich sagen: Vielleicht beim nächsten Mal…
Was tun?
Es muss kein unangemessenes Leistungsdenken sein, wenn Männer unter einem vorzeitigen Orgasmus leiden. Wer sehr schnell kommt, für den fällt der penetrative Sex wegen der rasch einsetzenden Unlust oft aus. Hinzu kann das Gefühl kommen, mit seinem Penis dem*der Partner*in nur wenig Lust beschert zu haben.
In einer solchen Situation kommt man schnell auf die Idee, dass alles besser würde, wenn man sich nur noch mehr anstrengt. Dann aber ergeht es einem womöglich wie in einem schlechten Traum: Man rennt dem unerreichbaren Zug hinterher, verzweifelt, weil man einfach nicht schneller laufen kann.
Erfahrene Sexualberater*innen empfehlen oft, einen Weg zu finden, die Grundspannung im Berufs- und Privatleben zu verringern. Eine zu hohe Grundspannung erzeugt Leistungsdruck und verhindert eine angemessene Wahrnehmung der Situation
Ist ein Mann zu fixiert darauf, ein erneutes „Versagen” zu vermeiden, dann geht es oft nur darum, wie und wann die Begegnung beendet sein wird. Richtige Lust, Entspannung und Befriedigung fehlen dadurch meist.
Das Problem besteht oft darin, dass Männer zu wenig von sich spüren. Aufatmen, zu sich selbst kommen, nicht mehr unentwegt an Anforderungen denken müssen, ruhig irgendwo an einem schönen Ort verweilen, den Moment genießen, sich treiben lassen, sich Zeit lassen: All das kommt im Alltag vieler Männer zu kurz. Es lohnt sich also, über den Zusammenhang von Sexualität, Lebenslust und Zeit nachzudenken.
Ansonsten tut es gut, mit einem*r vertrauten Freund*in oder einem*r Sexualberater*in zu reden. Das fällt zwar nicht gerade leicht, aber allein schon zu erfahren, wie gewöhnlich und weit verbreitet Probleme mit dem Orgasmus sind, kann bereits ungeheuer entlasten.
Rainer Neutzling
Aktualisiert durch Redaktion AHD
weiterführende Literatur:
Dieter Schnack, Rainer Neutzling: Die Prinzenrolle. Über die männliche Sexualität. Reinbek 2006
weiterführende Links:
Das Institut für Männergesundheit in Hamburg unter der Leitung von Prof. Dr. Frank Sommer hat auf seiner Internetpräsenz vollständige medizinische Programme veröffentlicht, die dazu beitragen können, den sexuellen Akt hinauszuzögern:
http://maennergesundheit.info