Fetischismus

Der Begriff Fetischismus. bezeichnet (im Zusammenhang mit menschlicher Sexualität) den Gebrauch unbelebter Objekte als Stimuli für sexuelle Erregung oder Befriedigung. Kurz: die sexuelle Besetzung eines Objektes. Dabei wird der sexuelle Lustgewinn ganz oder teilweise von einem Menschen auf dieses Ersatzobjekt übertragen.

Besonders häufig werden

  • einzelne Körperteile (z.B. Füße),
  • deren unbelebte Erweiterung, also spezielle Kleidungsstücke (z.B. Schuhe, Strümpfe)
  • sowie bestimmte Materialien wie Leder, Gummi/ Latex oder Seide

zu Objekten fetischistischer Begierde. Von A wie Achsel bis Z wie Zahnarztinstrumente gibt es beinahe jeden nur denkbaren Fetisch. Während bei einigen Menschen bereits der bloße Anblick genügt, um Erregung zu verspüren, gipfelt bei anderen Fetischist*innen die Lust vor allem im Zusammenspiel komplexer Sinneswahrnehmungen. Für viele Gummiliebhaber*innen hat beispielsweise nicht nur der Anblick von glänzend poliertem Latex eine betörende Wirkung, sondern auch der einzigartige Duft und das Geräusch, das beim Tragen erzeugt wird. Die Wärme und die vermehrte Schweißbildung unter diesem luftdichten Material, dass oft wie eine zweite Haut empfunden wird, sorgt für die meisten Menschen mit dieser Vorliebe für den absoluten Kick. Jedoch muss das begehrte Objekt oder Material nicht zwangsläufig selbst getragen oder benutzt werden. Wie schon erwähnt, kann bereits der Anblick von Damenschuhen, langen Haaren oder gar amputierten Gliedmaßen erotisches Gehalt implizieren. Mehr noch: Dieser Anblick kann ganze Vorstellungskomplexe eröffnen und vom eigentlichen Objekt loslösen. Ein*e Windelliebhaber*in kann Babyhygieneartikel nutzen, um sich daran zu erinnern, wie er oder sie als Kleinkind gewindelt, gepudert und eingecremt wurde. Es können also durchaus auch Gedanken provoziert werden, die Gefühle der Wärme und Geborgenheit auslösen und den raschen Lustgewinn- mit dem Fetischismus häufig zu Unrecht in Verbindung gebracht wird- in den Hintergrund treten lassen. An diesem Beispiel lässt sich noch etwas anderes verdeutlichen: nicht immer muss das Objekt an andere Personen gekoppelt werden. Einige Fetischisten empfinden es als besonders stimulierend, wenn sie ihre Lust ohne Anwesenheit einer zweiten Person nachgehen können. Was sich skurril anhört, hat meist einen ganz einfachen Hintergrund: es schafft Schutz und Distanz. Keine Urteile, keine abwertenden Reaktionen, keine Fragen.

Auf die Frage, wie ein Fetisch entsteht, kann bis heute keine eindeutige Antwort gegeben werden. Besondere Sexualpräferenzen zeigen sich häufig schon im Jugendalter, wobei vermutet wird, dass den späteren Fetischobjekten bereits in der Kindheit eine besondere Bedeutung zugekommen ist. Auffallend ist, dass Fetischismus fast ausschließlich nur Männern zugeschrieben wird. Dabei wird bei Frauen die Nutzung unbelebter Objekte in Form von Dildos, Vibratoren und Co. zur Befriedigung immer populärer. In diesem Zusammenhang kann man sich allerdings fragen, ob sich Sextoys und Co. überhaupt zu Fetischobjekten zählen lassen, werden sie doch speziell für die sexuelle Stimulation hergestellt. Dieser Frage wird im folgenden Abschnitt nachgegangen.

Der Begriff Fetisch stammt vom portugiesischen Wort fetico (Zauberei, Hexerei) sowie vom lateinischen facere (machen, herstellen) und beschreibt ursprünglich ein Ding, dem besondere Eigenschaften (Kräfte und Bedeutungen) zugeschrieben werden, die es von Natur aus nicht hat. Diese Dinge wurden aufgrund ihrer besonderen Aura verehrt und Wünsche an sie herangetragen. Bis ins 19 Jahrhundert hinein wird der Begriff Fetischismus deshalb als Sammelbegriff für abergläubische, irrationale, anstößige Objektbeziehungen benutzt, allerdings immer negativ besetzt. Im 19. Jahrhundert setzte mit der Industrialisierung ein regelrechter Boom der Dinge ein. In den Haushalten fanden sich nun viel mehr Objekte als noch im 18. Jahrhundert, es wurde mehr produziert und Waren in den Kaufhäusern erstmals aufwendig zur Schau gestellt. Wenn man so will wurde die Ansammlung von künstlichen Dingen in einem Raum, ob öffentlich oder privat, immer größer und dichter. Der Philosoph Walter Benjamin ging erstmals davon aus, dass wir nicht nur etwas mit den Dingen machen (z.B. bei der Produktion), sondern die Dinge auch etwas mit uns Menschen machen. Aufgrund dieser Verdinglichung rückte der Fetischismus wieder ins Zentrum philosophischen und wissenschaftlichen Interesses. In seinem Hauptwerk Das Kapital (1867) begründete Karl Marx den Begriff des Warenfetischismus. Marx überträgt die ursprüngliche Bedeutung des Fetischbegriffs nun auch auf die politische Ökonomie. Er geht davon aus, dass Waren (bzw. in Weiterentwicklung auch Geld und Kapital) Bedeutungen zugeschrieben werden, die sie von Natur aus nicht haben, z.B. einen Wert. Mit dem übergreifenden Ansatz der Bedeutungszuschreibung lässt sich nachvollziehen, wie der Fetischbegriff seit dem 20. Jahrhundert auch mit Sexualität in Verbindung gebracht wird: Nämlich als Hang zu Gegenständen oder Körperteilen, die für bestimmte Individuen sexuelle Reize auslösen können, obwohl sie dieses erotische Gehalt nicht von Grund aus besitzen. Von Grund aus nicht besitzen heißt, dass jene Gegenstände nicht zum Zwecke sexueller Stimulation hergestellt werden und die Körperteile biologisch keine sexuelle Funktion übernehmen, da sie nicht zu den primären oder sekundären Geschlechtsmerkmalen gehören. Mit diesem Verständnis des Fetischbegriffs zählen Dildos und Co. also nicht zu Fetischobjekten.

Heute ist das Wort Fetisch zur Beschreibung bestimmter sexueller Vorlieben längst im allgemeinen Sprachgebrauch angekommen. Die Wirtschaft hat spätestens seit 50 shades of grey das Vermarktungspotential von Peitschen, Lackstiefeln und Masken erkannt. In vielen Musikvideos internationaler Künstler (z.B. Madonna oder Rammstein) wird bewusst mit Fetischklischees gespielt und provoziert. Fetischismus ist nicht mehr nur Anreicherung sexueller Optionen, sondern wird mehr und mehr zum Lifestyle. Trotzdem wird er immer noch als Störung der Sexualpräferenz im Internationalen Klassifikationssystem der Krankheiten (ICD-10) verbucht.  Wie so oft, ist auch bei diesem Thema die Grenze zwischen Normalität und Störung nicht einfach zu ziehen. Schon Freud hat festgestellt, dass Fetischismus ein Teil jeder normalen Liebe ist. Vor allem in der Phase anfänglicher Verliebtheit beschränkt sich das (sexuelle) Begehren nicht nur auf die Genitalien, sondern auch auf Körperteile und Objekte, die zum Erreichen des eigentlichen Sexualziels biologisch keinen Zweck erfüllen. So wird nicht nur der ganze Körper der oder des Angebeteten mit all seinen Sensationen wie Duft, Haaren und Körperteilen glorifiziert, sondern auch jene unbelebten Objekte, die mit diesen Merkmalen in Verbindung stehen. Ein Kissen mit dem Duft der Person des Begehrens kann durchaus zu Erregung führen, ohne dass jemand über eine krankhafte Abweichung sprechen würde. Zu einer behandlungsbedürftigen Störung wird Fetischismus nur ein sehr wenigen Einzelfällen. Im ICD- 10 heißt es dazu: „Fetischismus soll nur dann diagnostiziert werden, wenn der Fetisch die wichtigste Quelle sexueller Erregung darstellt und für die sexuelle Befriedigung unerlässlich ist. Fetischistische Fantasien sind häufig und stellen keine Störung dar […]“. Außerdem wird erst von Erkrankung gesprochen, wenn die betroffene Person sich selbst oder andere Menschen durch diese Sexualpräferenz gefährdet und/ oder unter einem Leidensdruck steht, der sie massiv einschränkt. Ein Leidensdruck kann dann entstehen, wenn die Lust nach dem Fetischobjekt zu einer Gier mit zwanghaftem oder delinquenten Verhalten wird. Ein solcher Fall wäre z.B. gegeben, wenn eine Person mit der Vorliebe für getragene Damenunterwäsche immer wieder in Umkleidekabinen eindringt, um getragene Slips zu stehlen. Oder schlimmer noch: Wenn der Fetisch zu einem so zwanghaften Bedürfnis wird, dass Missbrauch daraus entstehst. Dass dies zu den seltenen Ausnahmen gehört und Fetischismus alles andere als unnormal ist, zeigt eine kanadische Studie. Die Befragung der 1040 Teilnehmenden ergab, dass knapp 46% Fantasien haben, die als paraphil gelten. Paraphilie bezeichnet eine Reihe von Neigungen, die mit abweichenden sexuellen Bedürfnissen und Fantasien einhergehen. Zur Gruppe der Paraphilien gehört auch der Fetischismus. Er ist nach dem Voyeurismus (Beobachten anderer bei sexuellen Aktivitäten) die häufigste Paraphilie. Von den oben genannten 46% haben etwa ein Drittel diese abweichenden Fantasien schon mindestens einmal real ausgelebt. Was aus dieser Studie ebenfalls hervorgeht: Männer haben nicht öfter einen Fetisch als Frauen.

Viele Menschen mit einer bestimmten Neigung nutzen diese, um die sexuelle Lust zu steigern. Für einige ist der Fetisch jedoch zwingend notwendig, um überhaupt sexuelle Erregung empfinden zu können. Dabei ist es höchst unterschiedlich, ob das Objekt an eine Person gekoppelt (also z.B. der Damenschuh erst in Verbindung mit einer attraktiven Frau erregend wird) oder auch völlig isoliert seinen Reiz entfaltet. Laut Sexualforschung lässt sich eine sexuelle Präferenz nie völlig ausradieren. Eine Therapie kann lediglich den Fokus erweitern, das bedeutet, an einer Person beispielsweise noch andere Dinge als schön und erregend wahrzunehmen und nicht nur ihren Fuß. Möglich ist das, weil wir die Fähigkeit besitzen, im Laufe unseres Lebens auch neue Dinge mit erotischem Gehalt zu versehen. Der Fetisch bleibt dabei jedoch wie ein ständig laufendes Hintergrundprogramm aktiv, nun aber mit neuen Updates.

Sophie Müller

weiterführende Literatur:

Enders, Johannes (Hrsg.): Fetischismus. Grundlagentexte vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Berlin 2017.

Fiedel, Peter: Sexuelle Orientierung und sexuelle Abweichung. Heterosexualität – Homosexualität – Transgenderismus und Paraphilien –sexueller Missbrauch – sexuelle Gewalt. Weinheim 2004.

Graubner, Bernd: ICD-10-GM 2014 Systematisches Verzeichnis : Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme 11. Schorndorff2013.

Pontalis, Jean- Bertrand: Objekte des Fetischismus. Suhrkamp 1972.

Schmidt, Beate- Berenike u. Sielert, Uwe (Hrsg.): Handbuch Sexualpädagogik und sexuelle Bildung. Bad Langensalza  2013.

weiterführende Links:

Freud, Sigmund: Kleine Schriften I. Kapitel 22 (Fetischismus), 1927: http://gutenberg.spiegel.de/buch/kleine-schriften-i-7123/22

https://www.focus.de/wissen/mensch/psychologie/abnormale-sexualpraeferenzen-studie-enthuellt-diese-sonderbaren-sexuellen-fetische-sind-offenbar-ziemlich-normal_id_5412825.html

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <strike> <strong>