Darüber sprechen

Männer sprechen nicht über ihre Gefühle. Dass diese Meinung oftmals der Realität entspricht, ist unter anderem in Paartherapie und Paarberatung zu sehen. Frauen scheint es leichter zu fallen, über ihre Empfindungen zu sprechen. Sie sagen entschiedener, was sie wollen. Und sie spüren ihre Probleme schneller und teilen sie mit. Männern hingegen fällt all das schwerer.

Natürlich zeigen sich im Verhalten von Frauen andere Schwierigkeiten, doch die Männerprobleme sind nicht wegzudiskutieren. Sie bestehen zuallererst darin, dass Männer nicht über sich und über ihre eigenen Probleme sprechen – weder mit dem Partner/der Partnerin noch mit Freunden. Dies hat nichts mit der viel zitierten Biologie des Mannes zu tun. Die Sprachlosigkeit vieler Männer ist eher ein Produkt ihrer Sozialisation, also der Erziehung und Erfahrungen im Kindesalter.

Jungen fehlt zumeist ein Mensch, dem sie ihr Innerstes zeigen können, der sie sowohl in ihren Schwächen und Ängsten als auch in ihrer Lebendigkeit wahrnehmen möchte, dem sie sich mitteilen und bei dem sie Halt finden können. Ganz kurz gesagt: Jungen fehlt der Vater als Identifikationsfigur mit realistischen Stärken und Schwächen.

Auf der anderen Seite erleben sie sich als abhängig von der Mutter, was ihre Entwicklung nicht nur wegen der fehlenden gleichgeschlechtlichen Identifikationsfigur erschwert. Sie erleben sich als Gegenüber zur Mutter, auf deren Bedürfnisse und Wünsche fixiert (im Gegensatz zu Mädchen, die eher mit zu großer mütterlicher Identifikation und Verschmolzenheit zu kämpfen haben) und können sich zugleich aus ihrem Bannkreis nicht lösen.

Auch hier fehlt der Vater, der sie aus dem emotionalen Bannkreis der Mutter herausholt. Die Tiefenpsychologie spricht in diesem Zusammenhang von Triadifizierung, die notwendig ist, um den Jungen aus der mütterlichen Abhängigkeit heraus zu führen. Fehlt eine ausreichende Triadifizierung – und das scheint bei den meisten Jungen der Fall zu sein – hat das Auswirkungen auf das erwachsene Leben und damit auch auf Beziehungen und Sexualität. Beides geschieht dann immer noch untergründig im Bannkreis der Mutter. Und das heißt, dass die Haltung gegenüber der Partnerin oder dem Partner die eines Kindes und nicht die eines erwachsenen Mannes ist.

Das kann beispielsweise dazu führen, Entscheidungen der Frau zu überlassen, was bei innerfamiliären Entscheidungen sehr häufig der Fall ist. Die eigenen Empfindungen und Bedürfnisse werden verdrängt; der Mann sieht seinen Hauptauftrag darin, die Entscheidungen der Frau umzusetzen. Es wird ein besonderer Leistungsanspruch entwickelt, es der Partnerin recht zu machen. Das Ziel vieler heterosexueller Männer in der Sexualität ist es, die Frau zu befriedigen. Ein richtiger Mann ist Mann, wenn Mann die Frau zum Orgasmus bringt. Ein fataler Leistungsstress.

Erklärbar ist er in seiner Entstehung nur durch die kindliche Vorstellung: „Ich beweise mein Gutsein, indem ich darauf achte, was Mutti möchte”. Aber auch das Gegenteil, nämlich durch die Sexualität Frauenverachtung zu leben, zeugt von mütterlicher Abhängigkeit, aus der sich der frühere Junge und jetzige Mann nicht zu befreien vermochte.

In dieser Grundkonstellation ist die Ursache für die Sprachlosigkeit vieler Männer zu finden:

  • sich niemandem mitteilen zu können („Der fehlende Vater”)
  • durch andere Bedürfnisse bedrängt zu werden („Die missbrauchende Mutter”).

So individuell dieses Erleben auch sein mag, so hat es sich doch als ein gesellschaftlicher „Charakterzug” entwickelt. Männer sollen stark, unbesiegbar, kontrolliert und beharrlich sein. Diese Haltung findet sich selbst in den feministischen Diskussionen. Auch dort werden Männer immer als Macher angesehen, wird partielle männliche Hilflosigkeit nicht anerkannt und sollen sich Männer an Bedürfnissen der Frauen orientieren.

Es ist daher eine neue Männlichkeit zu entwickeln, bei der es um die Bedürfnisse der Männer geht, Stärken und Schwächen des jeweiligen Mannes gleichermaßen zählen und sich endlich auch mitgeteilt werden kann. Erfahrungsgemäß lernen das Männer zunächst leichter unter und mit Männern. Männerworkshops und Männerselbsthilfegruppen vermitteln genau das – wenn sie gut laufen und Esoterik oder Wehleidigkeit verlieren. Was also not tut, ist eine Männer-Emanzipationsbewegung!

Dr. Matthias Stiehler

weiterführende Links:

Erläuterungen zum Begriff „Sozialisation”:
de.wikipedia.org

Erläuterungen zum Begriff „Triangulierung”:
de.wikipedia.org

Ein Aufsatz zur Rolle der Mutter für die Entwicklung des Kindes:
www.kup.at

Ein Aufsatz zur Rolle des Vaters für die Entwicklung des Kindes:
www.kup.at

Angebote für Männer

Männer- und Paarberatung im DIEG e.V. (Dresden)
www.dieg.org

Männerworkshops (überregional)
www.choriner-institut.de/maenner

Weitere unterschiedliche Angebote für Männer
in Dresden:

www.maennernetzwerk-dresden.de

in Leipzig:

www.lemann-netzwerk.de

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