Was ist Liebe? Eine gültige, überzeugende Definition gibt es nicht. Den Milliarden und Abermilliarden Liebeserlebnissen und den Millionen und Abermillionen literarischen Reflexionen stehen erschütternd wenige wissenschaftliche Betrachtungen gegenüber. Es scheint, als sei die Liebe rational nicht fassbar. Nur eins ist unbestritten: Es gibt das Wort „Liebe”, und es gibt sie, die Liebe. Sie existiert, und sie ist für die Menschen existentiell.
Liebe ist einmalig
Liebe wird als einmalig empfunden. Liebende lieben nicht auf Zeit, nicht vorläufig oder probehalber, sondern sie suchen die feste, vertrauensvolle, dauerhafte Liebesbeziehung und wenden sich voll und uneingeschränkt der geliebten Person zu. Sie fühlen, dass eine Gefühlsreserve, eine vorsorgliche Vorsicht, das Mitdenken eines Endes die Liebe schon am Anfang verloren macht.
Liebe ändert alles
Die Liebe wird als unausweichliches, totales Gefühl, als Schicksal erlebt. Sie wird als ein überragendes, teils überschäumendes, teils tief-stilles Gefühl empfunden, das das ganze Selbst erfasst und das gesamte Leben beeinflusst. Daraus ergeben sich eine einzigartige Toleranz gegenüber dem anderen und zugleich die Bereitschaft, sich dem Partner zuliebe zu ändern. Nichts wird ohne die geliebte Person gedacht, die Lebensperspektive und die Lebensplanung ändern sich durch diese Person, sie ist der wichtigste Kommunikationspartner und Sanktionsgeber und wird Teil des eigenen Lebens.
Liebe macht blind
Insbesondere anfangs wird die geliebte Person überhöht betrachtet und idealisiert. Dabei ist die auserwählte Person oftmals nicht sie selbst, sondern ein Wunschbild, in das der Verliebte seine eigenen Vorstellungen und Werte projiziert. Die Nähe zu ihr wird gesucht und als Glück empfunden. Enttäuschungen bleiben nicht aus, wenn sich beide wirklich kennen lernen, wenn die erste Verliebtheit schwindet und ein Zusammenleben versucht wird.
Dennoch ist die Idealisierung die lebendigste Art von Hoffnung. Sie orientiert auf Stärken, sie sucht die Schönheit, sie drängt liebevoll Schwächen zurück, sie schafft unendlichen Platz für Entwicklung. Liebe freut sich an der Lebendigkeit des anderen und seiner Entfaltung und fördert sie. Liebe gedeiht durch die gemeinsame Lebensbewältigung und die kollektive Lebenslust. Ohne diesen Entwurf wäre Liebe schon am Anfang ein totes Projekt.
Liebe ist wechselseitig
Die individuelle Geschlechtsliebe ist zunächst eine Einstellung besonderer Qualität zu einer anderen Person. Als umfassendes Gefühl ist sie auf die Gesamtpersönlichkeit des anderen gerichtet und bedeutet eine emotional starke, zur Ausschließlichkeit neigende Bindung.
Der Liebende fühlt sich zu dem geliebten Menschen hingezogen und möchte mit ihm vereint sein. Er hofft auf Erwiderung und ist überglücklich, wenn er fühlt: Wir sind ineinander verliebt.
Die Gegenseitigkeit allein macht das Wesen der Paarliebe nicht aus, sondern die Wechselseitigkeit. Nicht allein Ich liebe Dich und Du liebst mich, sondern Wir lieben uns.
Die Wechselseitigkeit begründet die Liebe als partnerschaftliches Verhältnis – in einer Zweierbeziehung. Diese Einheit bildet gegenüber dem bloßen Zueinanderfügen zweier Menschen eine neue Qualität, symbolisch ausgedrückt in der Formel 1+1=1.
Wirklich Liebende haben keinerlei Angst, ihre Individualität einzubüßen. Sie geben in der Liebesbeziehung furchtlos ein Stück ihres persönlichen Freiraums zugunsten des Gemeinsamen her.
Liebe und Sexualität
Für die meisten Menschen gehören Liebe und Sexualität eng zusammen. Der Partner wird als Sexualpartner geliebt und als Liebespartner sexuell begehrt.
In unserer Kultur werden Liebe und Sexualität höchst unterschiedlich bewertet: Die Liebe erfährt eine hohe oder die höchste Bewertung. Die Sexualität ist immer irgendwie verdächtig, man traut ihr nicht ganz oder traut ihr zu viel zu oder getraut sich nicht. Im massenmedialen Raum ist Sex ein höchst widersprüchliches, schillerndes Unternehmen. Dennoch haben die meisten Liebenden einen prinzipiell positiven Begriff von Sexualität. Das an sich ungleiche Begriffspaar Liebe und Sexualität ist für sie ein Liebespaar.
Ambivalenz und Dynamik in der Liebe
Die Liebe ist unglaublich dynamisch und löst die größten Gefühle aus, zu denen ein Mensch fähig ist.
Liebe ist das Besondere, muss aber dem Alltag standhalten. Hieran ist schon manche Liebesbeziehung zerbrochen. Doch gerade der Alltag stärkt auch immer wieder die Intimität, das Beieinander, das Miteinander.
Liebe braucht Nähe. Aber ohne Distanz kommt es zu Kurzschlüssen, deren Spannung sich zwangsläufig entlädt.
Nichts ist sicherer als Liebe, aber sie ist zugleich ein großes Risiko. Liebe kann nicht gekauft oder gemietet oder vertraglich gebunden oder sonst irgendwie garantiert werden; sie ist offen, unberechenbar, unbezahlbar. Sie entzieht sich jeder Bilanz, spekuliert nicht auf Gewinn, lässt nicht mit sich handeln, stellt keine Bedingungen und hat doch einen hohen Anspruch.
Sie ist etwas, was durch Geben reicher wird, weil sie kein Tausch-, Gebrauchs- oder Konsumgut, sondern ein Gefühl, eine Beziehung ist.
Liebe und Gesellschaft
In den modernen Gesellschaften scheint es, als sei es das Beste, wenn jeder für sich ist. Doch die meisten Menschen möchten mit einem geliebten Partner zusammenleben, denn Alleinsein ist tödlich. Die Zweisamkeit ist lebensnotwendig und schafft für die meisten Menschen die Grundlage für ihr persönliches Glück.
Ob das Leben glückt – das entscheidet sich für viele an der Liebe. Die großen Misserfolge von Liebesbeziehungen, die Niederlagen, die die Liebe erleidet, die Verkrüppelungen und Einengungen, denen sie unterworfen ist, all die Konflikte, Reibereien, Trennungen und Enttäuschungen ändern nichts daran, dass Liebe immer wieder versucht wird. Sie ist ein Ideal, das für menschliche Beziehungen steht. Eine Gesellschaft, in der die Liebe keine Chance hätte, würde zugrunde gehen.
Prof. Dr. Kurt Starke
weiterführende Literatur:
Hans-Joachim Maaz: Die Liebesfalle. Beck Verlag München 2007
weiterführende Links:
Ein Aufsatz zum Thema gegenseitiger Erwartungen in Paarbeziehungen:
www.dieg.org/Wissenschaft/
Durch folgenden Link gelangen Sie zu einem Artikel der veranschaulicht, dass Liebe und Beziehung häufig nichts miteinander zu tun haben:
www.autorenwerkstatt.org/
Wer sich zum Thema Liebe und Sexualität belesen möchte, den bietet diese Internetseite weiterführende Informationen:
www.familienhandbuch.de